Dienstag, 3. Januar 2017

Der Punkt, von welchem alles andere abgeleitet wird.



[2.] Also das erste und höchste der Ordnung des Denkens nach, das ich finde, bin ich, aber ich kann mich nicht finden ohne Wesen meinesgleich außer mir, denn ich bin Individuum. Also meine Erfahrung geht aus von einer Reihe vernünftiger Wesen, zu welcher auch ich gehöre, und an diesen Punkt knüpft sich alles an. Dieses ist die intelligible Welt; Welt, insofern sie etwas Gefundenes ist, intelligibel, insofern sie nur gedacht und nicht angeschaut wird. 

[3.] Die Welt der Erfahrung wird auf die intelligible gebaut, beide sind zugleich, eine ist nicht ohne die andre, sie stehen im Geiste in Wechselwirkung. 

[4.] Beide entstehen aus den Gesetzen der idealen Tätigkeit, die intelligible aus den Gesetzen des Denkens, die empirische aus den Gesetzen der Anschauung, sie sind etwas Ideales (Noumene), aber keine Dinge an sich.

[5.] Der Grund von beiden ist schlechthin ursprünglich, die Bestimmung des reinen Willens. Wenn man von etwas an sich reden wollte, so wäre es der reine Wille, der sich in der Empirie zeigt als Sittengesetz. Dies bemerkt auch Kant in der Kritik der reinen Vernunft.

[6.] Alles mein geistiges Handeln als solches setzt etwas voraus, worauf es gehe, es ist ein Modifizieren, aber dazu gehört ein Modifizierbares; oder: alles mein Handeln ist ein Überschweben vom Bestimmbaren zum Bestimmten. Nun muss es etwas Fixiertes geben, woran das Übergehen sich halte. Es muss ein Fortdauerndes, Bestehendes geben. Dieses haben wir gesucht und gefunden als unmittelbares Objekt des Bewusstseins, und diese Bestimmtheit des reinen Willens ist der Erklärungsgrund alles Bewusstseins. 

[7.] Der gegenwärtige Paragraph verhält sich zu den vorhergegangenen so: In den vorigen wurde nur der Weg gebahnt, im gegenwärtigen ist der Punkt aufgestellt, von welchem alles andere abgeleitet wird, und die Schwierigkeit ist gelöst.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 151 



Nota. - Hat er das bewiesen: dass die Reihe vernünftiger Wesen - als unmittelbares Objekt des Bewusstseins - zusammenfalle mit der Bestimmung des reinen Willens? Das muss ich mir erst nochmal ganz genau ansehen!

Jedenfalls ist das nicht der Punkt, an dem er seine Darstellung begonnen hat. Das war vielmehr die Frage, wie wir zu der Annahme kommen, dass den Vorstellungen in unserm Bewusstsein etwas außerhalb des Bewusst- seins entspreche: Er hat unserm Vorstellen bei seiner Tätigkeit zugesehen.

Von da aus ist er nun zu dem festen Punkt gelangt, der unserer Vorstellungstätigkeit - dem Schweben von Unbestimmtheit zu Bestimmtheit - ein Fortdauerndes, Bestehendes gibt, von dem sie alles andere ableiten kann: Es ist die Annahme einer intelligiblen Welt, die angeschaut wird in den andern Individuen meinesgleichen, aber gedacht wird als eine Reihe vernünftiger Wesen. - In einem gewissen Sinn fängt hier das System der Wissen- schaftslehre eigentlich erst an.
JE 



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