Freitag, 15. Juli 2016

Das Unmittelbare ist Idee und kommt nicht zu Bewusstsein.


Dalí, Geopoliticus

3) Wir reflektieren noch ein wenig über das jetzt Gefundene und darauf, wie wir es gemacht haben. – Alles anknüpfen an das Ich oder alle Synthesis beruht nach der vorigen und jetzigen Paragraphen auf einem Entge-gensetzen; soll ich etwas anschauen und denken, so muss ich es entgegensetzen. – Dieses Entgegensetzen ist der Grund alles Herausgehens aus dem Ich, im vorigen Paragraphen aus der Anschauung, im gegenwärtigen aus dem Ich selbst. Dort gingen wir aus von der Anschauung und knüpften an sie den Begriff; hier aus dem Ich als Gesetzten und setzen ein NichtIch.

//38// Nun fragt es sich: Ist unser bisheriges Räsonnement eine Deduktion, oder ist wieder etwas vorausgesetzt worden, wie im vorigen Paragraphen? Ist es erwiesen, dass mit dem Ich ein NichtIch vereinigt werden müsse? Oder haben wir wieder etwas vorausgesetzt, und welches könnte das Vorausgesetzte sein?

Durch das Reflexionsgesetz des Entgegensetzens sind wir darauf gekommen, dieses haben wir in der Anschau-ung nachgewiesen. Dies könnte also das Vorausgesetzte nicht sein. Die Voraussetzung liegt darin: Wir sind aus-gegangen von dem Gedanken, wenn das Ich selbst wieder Objekt unseres Bewusstseins sein soll, so folgt, dass ein NichtIch gesetzt werden muss. Aber soll denn das Ich Objekt des Bewusstseins werden? Dies ist nicht be-wiesen.

Im vorigen Paragraphen wurde bewiesen, dass allem Bewusstsein unmittelbares Bewusstsein vorausgehen müsse; aber dies ist nie ein Objektives, sondern immer das Subjektive in allem Bewusstsein. Das Bewusstsein, aus dem wir jetzt argumentiert haben, ist nicht unmittelbar, es ist Repräsentation des unmittelbaren, aber es selbst nicht. Das Unmittelbare ist Idee und kommt nicht zu Bewusstsein. Das erste Denken des Ich war ein freies Handeln, aber daraus folgt kein notwendiges. Das Bewusstsein des Ich ist nicht ohne Bewusstsein des Nicht-Ich, dies ist bewiesen. Nun können wir zwar postulieren, aber dann müssten wir es auch als Postulat ankündi-gen; es würde dann Teil des vorausgesetzten Grundsatzes. Ob es notwendig sei, so zu postulieren, werden wir sehen, wenn wir höher steigen. Wir haben weder erwiesen noch bewiesen ein NichtIch, sondern wir hätten bewiesen ein Wechselverhältnis zwischen Ich und NichtIch.
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Wissenschaftslehre nova methodo, 
Hamburg 1982, S. 37f.



Nota. - Ist es aber notwendig, so zu postulieren? Lassen Sie mich raten: Die Wissenschaftslehre will erklären, wie und warum Vernunft zustande kommt. Da wird ihr nichts anderes übrigbleiben, als vorauszusetzen, dass das Ich 'seiner-selbst' bewusst geworden ist. Anders kann nicht vernünftig gehandelt werden. Doch ist das eine Notwendigkeit, die aus einem Akt der Freiheit folgt, und das war das pp. unmittelbare Bewusstsein. Auf dem beruht Alles.
JE






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