Freitag, 3. Juni 2016

Zwei Haupthandlungen des Ich: der Ursprung der Dialektik.



Kant hat die Frage: Wie kommen wir dazu, gewissen Vorstellungen objektive Gültigkeit beizumessen, nicht be- antwortet. Die Wissenschaftslehre leistet dies. Wir schreiben einer Vorstellung objektive Gültigkeit zu, wenn wir behaupten, dass unabhängig von der Vorstellung noch ein Ding da sei, das der Vorstellung entspreche. Beide sind so verschieden: Die Vorstellung habe ich hervorgebracht, das Ding aber nicht. Nun behauptet die Wissenschaftslehre: Mit Vorstellungen, welche notwendig in uns sein sollen, verhält es sich so, dass wir anneh- men müssen, dass ihnen etwas Äußeres entspreche; und dies zeigt sie genetisch. 
 
Es gibt zwei Haupthandlungen des Ich; die eine, wodurch es sich selbst setzt und alles, was dazu erforderlich ist, also die ganze Welt. Die zweite ist ein abermaliges Setzen desjenigen, was durch jene erste Handlung schon gesetzt ist. Es gibt also ein //10// ursprüngliches Setzen des Ich und der Welt und ein Setzen des schon Gesetzten, das erste macht das Bewusstsein erst möglich und kann daher darin nicht vorkommen; das zweite aber ist das Bewusstsein selbst. Das zweite setzt sonach das erste voraus. Im zweiten wird sonach etwas gefunden, das ohne das Ich vorhanden, worauf das Ich reflektiert. Das erste, dessen Resultat das Ding ist; dadurch zeigt sich, was eigentlich Produkt des Ich ist. 

Es wäre sonach zu unterscheiden eine ursprüngliche Thesis oder, da in ihr ein Mannigfaltiges gesetzt wird, eine ursprüngliche Synthesis, von der Analysis, wenn nämlich wieder auf das reflektiert wird, was in der ursprünglichen Synthesis liegt. Die gesamte Erfahrung ist nun bloße Analysis dieser ursprünglichen Synthesis. Das ursprüng- liche Setzen kann nicht im wirklichen Bewusstsein vorkommen, weil es erst die Bedingung der Möglichkeit alles Bewusstseins ist.

Dies ist der kurze Inbegriff, das Wesen und der Charakter der Wissenschaftslehre.

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Wissenschaftslehre nova methodo, I. Einleitung, Hamburg 1982, S. 9f.  



Nota. - Später wurde die Dialektik zu einem mystischen Ding, einem Arkanum, in dem sich alles unterbringen ließ, was man nicht erklären konnte oder wohlweislich nicht erklären wollte. In ihrem Ursprung bei Fichte ist sie eine völlig rationelle Sache: Wo immer das Denken reflektiert - und das tut es immer, wenn es nach Gründen fragt -, beschäftigt es sich letzten Endes mit sich selbst; und kommt daher zweimal vor: Einmal als reale, das andre Mal als ideale Tätigkeit. Und jeder Fortschritt im Denken reproduziert diese Verdoppelung immer neu.
JE



 


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE 

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