Mittwoch, 19. November 2014

Naturvernunft.



Der gestrige Eintrag gehört unter die Rubrik Fichtes dogmatische Wendung; und zwar in dem Sinne, dass es sich nicht eigentlich um eine Umkehr handelte, sondern um das vom Eingreifen Jacobis in den Atheismusstreit veranlasste Überhandnehmen einer unkritischen, dogmatischen Unterströmung in Fichtes Vorstellung von 'Vernunft'.  

Bemerkenswert ist immerhin Fichtes beharrliche Weigerung, einen  Bruch oder eine Wendung in seiner intellektuellen Laufbahn zuzugeben: Er habe allezeit ein und dasselbe gelehrt. Nun muss man ja nur die Bücher aufschlagen, um zu sehen, dass das nicht stimmt, nämlich nach dem Wortlaut zu urteilen. Dass er sich dabei allezeit was anderes gedacht hat, wird ihm niemand widerlegen können. Aber man kann ihm nachweisen, dass er sich nicht ohne Widerspruch etwas anderes hat denken können.

Der "große Zweck" der Vernunft ist nach Fichte: Übereinstimmung herbeiführen; offenbar nicht erst Übereinstimmung der vernünftigen Wesen untereinander, sondern schon ihre Übereinstimmung mit... der Natur.  So jedenfalls beschreibt er es in seinem kuriosesten Text zu diesem Thema: Vernunft ist ursprünglich 'von Natur' schon immer dagewesen, am Anfang in einem mythischen "Normalvolk", das auf einer Insel der Seligen in einem Meer von Rohheit, Blindheit und Unvernunft im friedlich Einklang mit sich und seiner kleinen Welt gelebt hat, bis es eines Tages wie Wielands Abderiten auseinandergerissen und über die Erde verstreut wurde; wo es nun allenthalben, ein Jeder an seiner Stelle, die Keime zur Vernünftigkeit in die ganze Gattung tragen muss. Denn der Zweck der Menschheit - nota: den müsste doch jemand gesetzt haben? - sei nicht: vernünftig sein, sondern (aus Freiheit) vernünftig werden.

Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, aus denen diese Mythe stammt, erschienen 1806, und man mag ihm glauben, dass ihm diese Geschichte schon vorgeschwebt hätte, als er 1798 die Sittenlehre vortrug. Aber ausgesprochen hat er es damals nicht, denn noch meinte er, in der Wissenschaftslehre die Transzendentalphilosophie vollendet zu haben, indem er sie radikalisierte und Kant von seinen Halbheiten befreite. Die waren aber capita mortua der Leibniz'schen Tradition gewesen. Seine eigene Halbheit war dagegen ein Restbestand von Spinozas Deus sive Natura, und Jacobi tat nicht Unrecht, als er ihn an seine Herkunft erinnerte. Aber er hat nicht den gebotenen Schluss daraus gezogen.





Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen